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Medien



Über die Verantwortung der Presse

Vorwort zu “Medienfreiheit – Anspruch und Wirklichkeit“

von Sean MacBride

 

Der Vorsitzende der UNESCO-Medienkommission (International Commission for the Study of Communication Problems), auf dessen Arbeit in diesem Buch mehrmals eingegangen wird, Sean MacBride, stellte als Vorwort grundsätzliche Ausführungen über die Freiheit der Presse und die Verantwortung der Journalisten zur Verfügung.

MacBride geht davon aus, daß seit dem Zweiten Weltkrieg eine Gewichtsverlagerung „im Zentrum der Macht" stattgefunden hat. Die Bedeutung der öffentlichen Meinung ist gewachsen; diese ist imstande, sich zu informieren; sie vermag sich ein Urteil zu bilden und sich vernehmlich zu machen, und das nicht nur in demokratischen Ländern. Regierungen müssen gegenwärtig mit der öffentlichen Meinung im Lande und in der Welt rechnen, „und diejenigen, die mit der Versorgung der Öffentlichkeit mit Nachrichten morgen betraut sein werden, tragen dann noch größere Verantwortung als jene, die heute die Nachrichtenübermittlung kontrollieren", sagt Sean MacBride.

Drei Komplexen mißt er besonderes Gewicht bei: der Rolle des „nachforschenden Journalisten" (investigative Journalist), der zunehmenden Pressekonzentration in den Händen weniger Eigentümer, und dem — nicht zuletzt mit den genannten Erscheinungen zusammenhängenden — Problem des notwendigen Schutzes der Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes.

 

Sean MacBride

geboren am 26. Januar 1904, ist der Sohn eines irischen Majors. Der Vater wurde von den Briten hingerichtet, als MacBride 16 Jahre alt war. Auch die Mutter wurde lange Zeit gefangengehalten. Für Leben und Werk des irischen Juristen und Politikers waren solche Erfahrungen bestimmend. Mit 16 Jahren trat er in die Irisch-Republikanische Armee (IRA) ein, deren Generalstabschef er 1928 wurde. Zeitweise war er Sekretär Eamon de Valeras. 1946 gründete er die irische Republikanische Partei „Clann na Poblachta"; seit 1947 vertrat er sie im irischen Parlament. Von 1947 bis 1951 war er Außenminister Irlands, daneben auch Vizepräsident der OEEC. Von 1963 bis 1970 war Sean MacBride Generalsekretär der Internationalen Juristen-Kommission, Förderer der Europäischen Menschenrechtskommission und der Genfer Konvention zum Schutz der Kriegsgefangenen. Von 1973 bis 197ß war er auf Vorschlag der SWAPO UNO-Kommissar für Namibia.

Selbst Korrespondent von Havas, US-amerikanischer und südafrikanischer Blätter vor dem Zweiten Weltkrieg war MacBride in besonderem Maße dazu prädestiniert, der UNESCO-Medienkommission von 1977 bis 1980 vorzustehen.

Das Internationale Friedensbüro in Genf, eine der ältesten Friedensorganisationen Europas und wichtige Schaltstelle für die Tätigkeit der nicht-regierungsamtlichen Gruppierungen, vor allem auf dem Felde der Abrüstung, wählte MacBride zu seinem Präsidenten. Die weltweit bedeutsamen Verdienste Sean MacBrides, der 1962 auch „Amnesty International" ins Leben rief, wurden im Oktober 1974 durch den Friedensnobelpreis gewürdigt. Im September 1977 zeichnete ihn die Sowjetunion mit dem Lenin-Friedenspreis aus, 1978 bekam er die amerikanische Gerechtigkeitsmedaille. Sean MacBride lebt in Dublin, Irland.

Der nachforschende Journalismus

Mit der Zunahme des Einflusses der öffentlichen Meinung und der Massenmedien geht eine begrüßenswerte Entwicklung einher, die wachsende Bedeutung des „nachforschenden Journalisten". Da die öffentliche Meinung mittlerweile eine Stellung innehat, von der aus sie auf die Politik der Regierungen Einfluß nehmen oder Regierungen verwerfen kann, die ihren Erwartungen nicht genügen, ist die Rolle des nachforschenden Journalisten wesentlich und entscheidend geworden. Sie besteht darin, die Handlungen der Regierungen und der Bürokratie in Frage zu stellen und zu überprüfen und sie da, wo Abweichungen vorkommen, aufzudecken.

Die steigende Zentralisierung von Regierungs- und Behördentätigkeit, zusammen mit dem Anwachsen internationaler Monopole und multinationaler Konzerne hat, so scheint es, zu einer ungeheuren Zunahme der Korruption auf allen politischen Ebenen geführt. Die jüngsten Eröffnungen über die Bestechung von Staatsoberhäuptern, Premierministern, politischen Führern, Generälen und Parlamentsmitgliedern, sind nur die offen sichtbaren Anzeichen eines schweren Problems, welches für die demokratische Regierungsform neue Gefahren entstehen läßt. Es mag durchaus sein, daß es Bestechung von Regierungsbeamten und Generälen schon immer gegeben hat, doch der Machtzuwachs bei den Multinationalen und den militärisch-industriellen Komplexen hat das Ausmaß dieser Gefahr vergrößert. Die Lockheed-Bestechungen, die Muldergate-Skandale, die Verletzung der ölsanktionen durch die ölgesellschaften sind die sichtbaren Anzeichen einer tiefsitzenden und weitreichenden Bedrohung für die demokratische Regierungsform. Der wirksamste Schutz gegen diese Art von Korruption ist ihre Aufdeckung durch die Massenmedien. Und hier gewinnt die Rolle des nachforschenden Journalisten eine größere Bedeutung denn je. Man könnte sagen, daß die Aufdeckung durch den nachforschenden Journalisten in der Tat, wenn auch nicht die einzige, so doch gewiß die wirksamste Schutzvorrichtung gegen den Krebsschaden der Korruption ist. Ihrem Wesen nach ist Korruption in den oberen Rängen, wie sie von den mächtigen multinationalen Konzernen gefördert wird, schwierig zu enthüllen und durch irgendwelche Mittel zu stoppen. Der Bestecher und der Bestochene können auf Grund der engen Verbindungen zu Regierungsstellen gewöhnlich ihr unmoralisches Verhalten verbergen.

 

Die Aufgabe des nachforschenden Journalisten ist überdies lebenswichtig im Kampf um die Sicherstellung eines wirksameren Schutzes der Menschenrechte. Die Internationale Kommission der Juristen und „Amnesty International" haben herausgefunden, was mittlerweile allgemein anerkannt wird, daß politische Gefangene in über 60 Ländern systematisch gefoltert worden sind. In vielen Ländern ist die Folter für politische Gefangene in den Internierungsorten zu einem Bestandteil des Mechanismus der Regierung geworden, und die gewonnene Erfahrung hat zu der Feststellung geführt, daß die einzig wirksame Maßnahme gegen den Gebrauch der Folter durch die Regierungen die öffentliche Bloßstellung solcher grausamen Handlungen ist. In manchen Fällen ist es wohl möglich, die Anwendung der Folter durch die Regierung in Gerichtsverfahren vor inländischen oder internationalen Gerichtshöfen bloßzustellen, doch in vielen Fällen ist dies eben nicht möglich. Auch hier wieder haben der nachforschende Journalist und die Massenmedien eine wichtige Aufgabe zu erfüllen, um die öffentliche Meinung zu informieren.

 

Der Bericht der Internationalen Kommission zum Studium der Kommunikationsfragen, dem zu präsidieren ich die Ehre hatte, spricht sich kategorisch aus über die Wichtigkeit, den nachforschenden Journalisten zu schützen:

„Die Rolle des nachforschenden Journalisten ist, die Handlungen all derer, die behördliche Autorität ausüben, zur Frage zu stellen und zu überprüfen, und aufzudecken, wo immer Machtmißbrauch, Inkompetenz, Korruption oder andere Normabweichungen vorkommen. Dieses Vermögen, auf bürokratisches Fehlverhalten und Korruption bezogene Angelegenheiten zu verfolgen und sie zu veröffentlichen, ist von besonderer Bedeutung, denn es handelt sich um eines der wirksamsten Mittel, um sicherzustellen, daß Ineffizienz und Unehrenhaftigkeit, wo immer sie auftreten, nicht erlaubt wird, das ganze System zu verderben oder Unrecht entstehen zu lassen. Die an der Macht Befindlichen stellen sich darum auch sehr häufig Versuchen entgegen, über die offiziellen Pressemitteilungen hinaus nachzuforschen oder über die gewöhnlich zugänglichen Quellen hinaus Informationen einzuholen. Darüber hinaus kommt es oft vor, daß der Arbeitgeber des nachforschenden Journalisten nicht allzu eifrig in der Verteidigung und im Schutz für seinen Angestellten ist.

Alle diese Erwägungen, wie auch die in bestimmten Fällen von Zeitungsverlegern verfügten Beschränkungen, laufen darauf hinaus, daß der Journalistenberuf in verschiedenen Ländern durch eine Krise hindurchgeht. Das kann zu einer Lage führen, in der ehrliche Journalisten ihren Beruf aufgeben und junge Menschen mit dem Talent zu diesem Beruf ihn gar nicht erst ergreifen."

 

Eigentumskonzentration

Eine ernsthafte Gefahr für die „Pressefreiheit" und die Integrität der Journalisten ergibt sich aus der ständig anwachsenden Tendenz zur Konzentration des Eigentums an Zeitungen in den Händen weniger multinationaler Gesellschaften. Seit 1945 hat in den Vereinigten Staaten die Zahl der Zeitungsgruppen, die in die Hände desselben Eigentümers übergegangen sind, von 60 auf 105 zugenommen . Diese Gruppen besitzen mehr als 60% der 1 812 Tageszeitungen in den USA. In der Bundesrepublik Deutschland hat die Zahl der unabhängigen Zeitungen von 225 im Jahre 1960 auf 134 im Jahre 1973 abgenommen. In Frankreich besitzt die Hersant-Gruppe 14 der insgesamt 17 Tageszeitungen; die Matara-Gruppe aus Waffenherstellern hat gerade den größten Verlag in Frankreich übernommen. In Britannien hat jetzt Rupert Murdock aus Australien die TIMES und die SUNDAY TIMES und einige andere Blätter aufgekauft. Zudem besitzt er die NEW YORK DAILY NEWS und einige andere Zeitungen in den USA. Dann gibt es da noch die traurige Geschichte des SUNDAY OBSERVER in England, der ins Eigentum der amerikanischen ölgesellschaft Atlantic Richfield übergegangen war und nun hinter dem Rücken des Zeitungsstabes und der Verlagsleitung an Lonrho und Tiny Rowlands gekommen ist. Aus dem Muldergate-Skandal wissen wir auch, daß die südafrikanische Regierung den Versuch unternommen hat, in den USA und Britannien Zeitungen zu kaufen. Wir wissen nicht, bis zu welchem Grade sie dabei erfolgreich war.

Diese Pressekonzentration in den Händen von multinationalen Gesellschaften stellt eine Bedrohung dar, nicht nur für die Unabhängigkeit und Objektivität der in Frage kommenden Zeitungen, sondern auch für die Unabhängigkeit der dort beschäftigten Journalisten. Es handelt sich hier um ein schwerwiegendes Problem, dem sich Gewerkschaften und Berufsorganisationen der Journalisten ernsthaft widmen sollten. Konzentration von Presseerzeugnissen und elektronischen Medien beim selben Eigentümer führt zur Verringerung der Vielfalt der Nachrichten- und Informationsquellen. Sie tendiert auch dazu, die Freiheit der Journalisten zu behindern.

 

Schutz für Journalisten

Noch ein anderes Problem erfordert unsere ernste Aufmerksamkeit. Es ist die Notwendigkeit, Journalisten in der Ausübung ihrer Arbeit besseren Schutz zu gewähren. Es gibt wohl kaum einen Beruf, der dem „Risiko" mehr ausgesetzt ist als der des Journalisten. Es werden verhältnismäßig mehr Journalisten getötet oder „zum Verschwinden gebracht" als das in anderen Berufen der Fall ist. Diejenigen Journalisten, die ständig Opfer von Repressionen werden, setzen Leben und Freiheit aufs Spiel, um ihre Pflicht zu erfüllen, nicht nur gegenüber ihren Arbeitgebern, sondern gegenüber der Öffentlichkeit allgemein. Doch wenig geschieht, um ihnen Schutz zu gewähren. Man kann in der Tat sagen, daß abgesehen von Erklärungen des Bedauerns und der Sympathie die Schicksale von Journalisten, die entführt oder ermordet worden sind, nur geringe Anteilnahme seitens der Regierungen erfahren.

Neben dem physischen Schutz von Journalisten, die einen gefährlichen Auftrag zu versehen haben, ist es ebenso wesentlich, daß versucht wird, ihnen im Rahmen ihrer Berufsarbeit Schutz zukommen zu lassen. Es ist unvermeidlich , daß manche Regierung, manche Politiker, Bürokraten oder Kontrolleure wirtschaftlicher Macht versuchen, die Rolle des nachforschenden Journalisten zu beschneiden oder die Kontrolle über die Organe der öffentlichen Meinung zu erlangen. In vielen Bereichen der Welt stehen Presse wie elektronische Medien unter der Kontrolle von Regierungsbehörden, während die Journalisten jedweder wirklichen Freiheit der Kritik beraubt sind. In vielen Fällen werden diejenigen, die ihren Beruf ehrlich und mutig auszuüben streben, Opfer von Willkür und verlieren die Möglichkeit, ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

In den letzten 20 Jahren hat es von Seiten verschiedener Journalisten- und Verlegerverbände manchen Versuch gegeben, zu einer Konvention über den Schutz von Journalisten zu gelangen, so von Seiten des Internationalen Journalistenverbandes, des Internationalen Presseinstituts und der Internationalen Vereinigung der Zeitungsredakteure.

Als Generalsekretär der Internationalen Juristenkommission hatte ich in der Vergangenheit das Vorrecht, in Zusammenarbeit mit verschiedenen Journalistenorganisationen Entwürfe für eine solche Konvention zu erarbeiten. Jedoch haben diese Entwürfe nie zur Annahme einer konkreten internationalen Konvention zum Schutz der Journalisten geführt. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, daß immer dann, wenn ein Journalist getötet, inhaftiert oder entführt wird, es eine Zeitlang einen Aufschrei in der Öffentlichkeit gibt; daß Regierungen dann gewillt, ja sogar eine Zeitlang enthusiastisch für solche Bemühungen um Schutz sind; sobald aber dann einmal der Schock und der Schrecken vorüber sind, auch der Enthusiasmus für Handlungen zur Abhilfe zu schwinden beginnt. Das Problem wird dann an die „Verlustabteilung" der Regierungsinteressen überwiesen, bis die nächste Tragödie geschieht.

Das ganze Problem der Gewährung von Schutz für Journalisten ist im internationalen Recht kein einfaches, sondern sehr verwickelt. Weder die Regierungen noch die Zeitungseigentümer zeigen sich darum besonders besorgt. Um die Aufmerksamkeit von diesem Problem abzulenken, sind irreführende Argumente dahingehend vorgebracht worden, daß dergleichen Vorhaben auf die Registrierung von Journalisten hinauslaufen würde. Es gibt keinerlei Grund dafür, daß dies zur Registrierung von Journalisten führen könnte oder müßte. Diese Angelegenheit müssen die Organisationen und Gewerkschaften der Journalisten selbst in die Hand nehmen. Wenn sie das tun, so hoffe ich, werden sie hinreichende Unterstützung von Anwälten und Menschenrechtsorganisationen erhalten.

7. Juli 1981 Sean MacBride

(Übertragung aus dem Englischen Peter G. Spengler)

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